Wolfram Schneider
Sozial und historisch verantwortliche Stadtplanung
von der Arbeitersiedlungsbewegung zur Industriekultur
Stadtplanung ist als eigenständige Disziplin in Deutschland gerade 30 Jahre alt. Ich möchte deshalb keine lange historische Beschreibung geben, sondern eine persönliche Annäherung an meine rund 25-jährige Berufspraxis im Ruhrgebiet. Doch vieles davon ist typisch für Zeit und Region und von meinen Kollegen und Kolleginnen in ähnlicher Weise mitgestaltet worden.
Stadtplanung fasst Aspekte mehrerer Disziplinen zusammen. So ist immer eine umfassende Sicht des Bearbeitungsgegenstandes »Stadt« notwendig, um Lösungsansätze für Probleme zu entwickeln. Neben architektonisch- städtebaulichen und historischen Kenntnissen sind das vor allem soziale, ökonomische und zunehmend ökologische Anforderungen.
Mitte der 1970er Jahre war das be-herrschende Thema der Stadtplanung im Ruhrgebiet der Umgang mit den Arbeitersiedlungen. Ausgangspunkt war die Entwicklung der Stadtnebenzentren. Höherverdichteter Wohnungsbau sollte zu einer ökonomischeren Nutzung der neuen zentralen Einrichtungen führen: U-Bahn, Gesamtschulen und Dienstleistungszentren.
Der stadtbildprägende und vor allem soziale Wert der Werkssiedlungen wurde bis Ende der 1960er Jahre recht gering eingeschätzt. Es handelte sich meist um anonyme Architektur aus den Bauabteilungen der Bergwerke und Stahlbetriebe zwischen 1870 und 1914. Zahlreiche Siedlungen waren bis dahin schon abgebrochen worden. Meist wurden dort mehrgeschossige Sozialwohnungen errichtet - deren geringe städtebaulich Qualität war damals wie heute kaum ein Kritikpunkt.
Eisenheim, Flöz Dickebank und Rheinpreußen sind dann die Siedlungsnamen, in denen sich für Baugesellschaften und örtliche Politiker völlig unerwartet der Widerstand gegen diese Abbruchstrategie entwickelte. Jahrzehntelange Heimat, Umbauinvestitionen in die eigenheim-ähnlich genutzten Mietwohnungen, große Gärten und billige Mieten waren die Argumente der Bewohner.
Der Kampf richtete sich gegen die großen Bauspekulanten und Konzerne, zu denen die Baugesellschaften gehörten, aber auch gegen die örtliche Politik und Stadtverwaltung.
Die Konfliktaustragung passte in die Zeit. Zwar waren Arbeiterfamilien die Akteure, aber fachkundige Berater halfen bei der Formulierung des Protestes, der Gründung von Initiativen und phantasievollen Aktionen. Das führte vielfach zum Erfolg.
Die persönlichen und kollektiven Lernprozesse waren sehr verschieden. In Gelsenkirchen hat der Konflikt um die Siedlung Flöz Dickebank zu der Erkenntnis geführt, dass die Arbeitersiedlungen als wesentliches historisches Erbe der Industrialisierung zu erhalten sind in einer ansonsten gesichtslosen, viel zu schnell gewachsenen Stadt.
Ein nächster Schritt vorwärts zu einer sozial und historisch
verantwortlichen Stadtplanung war die Internationale
Bauausstellung (IBA) Emscher Park. Dieses große
Strukturhilfeprogramm sollte dem am stärksten von
den negativen Folgen der Montankrise betroffenen
nördlichen Ruhrgebiet - der Emscherzone - neue
Impulse geben. Ganzheitlich entwickelte Projekte
mit guter Architektur und hoher Ausstrahlung durch
Qualität waren die Ziele.
Der Weg dorthin war ein Projektaufruf im Jahr 1989.
Stadtverwaltungen, Wohnungsbaugesellschaften und
andere Institutionen reichten ihre Projektvorschläge ein.
Die Gelsenkirchener Siedlung Schüngelberg möchte ich hier
als Beispiel für ein besonders komplexes Projekt vorstellen.
Die Wohnungsbaugesellschaft THS (Essen) erreichte
zusammen mit den anderen Institutionen die
Veränderung einer vernachlässigten alten Siedlung
zu einem zukunftsweisenden neuen Wohnstandort.
Noch einen Schritt weiter als die IBA-Projekte geht das
Programm für »Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf«.
Durch die Montankrise waren im Ruhrgebiet ganze Stadtteile
von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt worden.
Charakterisiert wird das durch
Auch hier wieder ein Beispiel aus meiner Planungspraxis in Gelsenkirchen: das »Stadtteilprogramm Bismarck/Schalke-Nord«, ein Gebiet mit rd. 20.000 Einwohnern.
Das Herz des Ortsteils Bismarck war das seit 1873 fördernde Bergwerk Consolidation. Nach der Stillegung 1995 hörte das Herz auf zu schlagen. 4.000 Arbeitsplätze waren vernichtet.
Das Konzept war, mit zahlreichen kleineren und größeren Projekten die depressive Stimmung im Stadtteil zu verändern. Bauprojekte müssen auch soziale Aspekte enthalten und mit einem hohen Anteil an Beschäftigung und Qualifizierung umgesetzt werden.
Das Stadtteilbüro als Außenstelle der Verwaltung ist dabei sowohl verantwortlich für eine innovative Projektentwicklung und -umsetzung, die beiden Kollegen des Stadtplanungsamtes sind aber auch die Anwälte der Bewohner, zu denen sie täglich und intensiv Kontakt haben.
Im Zusammenhang der Tagung ist es erwähnenswert, dass das Büro in einem denkmalgeschützten kleinen Schulgebäude von 1896 untergebracht ist - einem Ort mit historischer Bedeutung für viele Bewohner in Bismarck.
Neben beeindruckenden Neubau- und Sozialprojekten soll der Umgang mit dem Bergwerksgelände interessieren.
Es war eine mühsame Überzeugungsarbeit gegenüber der Deutschen Steinkohle AG (DSK) und deren Montan Grundstücks Gesellschaft (MGG), dass es nicht sinnvoll sei, die 25 ha riesige Fläche insgesamt frei zu räumen. Bei dem Überangebot an Industriebrachflächen im Ruhrgebiet sei es deshalb wichtig, in der Konkurrenz der Standorte miteinander eine un- verwechselbare »Adresse« zu bilden. Charakteristische Industriegebäude seien deshalb zu bewahren.
Die wichtigsten Gebäude konnten dann auch tatsächlich erhalten und von der »Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur« übernommen werden.
Stehen lassen allein reicht natürlich nicht. Die neue Nutzung dieser großen Zweckbauten ist meist das Schwierigste. Hier konnte wieder die IBA helfen. Mit dem Programm »Initiative ergreifen« wird der Umbau der Lüftermaschinenhalle zu einem Kinder- und Jugendtheater gefördert.
Die nächsten Projekte sind der Umbau der benachbarten Maschinenhalle zu einem Musikprobenzentrum für Rockbands. Die beiden Maschinenhäuser am Strebgerüst - dem Wahrzeichen Bismarcks - werden für die Sammlung des Bergbaukünstlers Werner Thiel umgebaut.
Bei der Diskussion über die Neunutzung des Geländes hat sich der Initiativkreis Bergwerk Consolidation gegründet. Ehemalige Bergleute und heimatgeschichtlich Interessierte mischen sich aktiv ein.
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